Licht der Hoffnung

Ein Urschrei des deutschen Kabaretts

Licht der Hoffnung: Christoph Sieber ließ sein Publikum in Beuren in eine ganz besondere Art der Kleinkunst eintauchen

Kabarettist, Comedian, Pantomine (hier als Boris Becker) und Philosoph: Christoph Sieber begeisterte in der Beurener Kelter. jg

Lebt denn der alte Holzmichel noch? Nun, diese Frage blieb trotz aller Bemühungen Christoph Siebers bei der dritten Veranstaltung des Festivals der Hoffnung am Freitagabend unbeantwortet. Aber eins ist nach dem Gastspiel des mehrfachen Kleinkunstpreisträgers in der Kelter zu Beuren klar: Das oft totgesagte deutsche Kabarett lebt noch. Gerade durch ihn.

BEUREN. Vielleicht erlebt es ja gerade durch Christoph Sieber so etwas wie eine Wiedergeburt. Weil er die Grenzen zwischen Kabarett und Comedy verschwimmen und letztlich verschwinden lässt. Weil er einen spüren lässt, dass (wie es die Frauenbewegung stets behauptete, als der Spaßmacher aus dem Ländle gerade mal geboren war – und wie es sich nun zeigt, wohl zu Recht) das Private stets auch politisch ist. Und das Politische auch privat Folgen zeitigt.

Der Vorrang der Bankenrettung führt eben nun mal dazu, dass die Armen auf Kosten der Reichsten, die die Krise ja eigentlich verursacht haben, bluten müssen. Und die Konsequenzen spürt man am unteren Ende der Einkommens-Skala am heftigsten: Wenn zum Beispiel drüber diskutiert wird, ob man sich auf dem (von Sieber aus anderen Gründen in einer grandiosen Nummer mit so viel hämischer Verzweiflung bedachten) Weihnachtsmarkt eine rote Wurst leisten kann oder nicht.

Was Christoph Sieber (dessen Gastspiel die Unterensinger Rechtsanwaltskanzlei Dr. Mitsdörffer, Weible und Kollegen möglich gemacht hatte) über all die Klamauk-Macher, die im Moment die Szene zu dominieren scheinen, heraushebt, ist – sein Mitgefühl! Er trampelt nicht auf den Losern herum und stellt sie mit plumpen Gags an die Wand, sondern er begibt sich an deren Seite.

Es ist ein grandioser Spagat, der diesem begnadeten Künstler des Humors da gelingt: auf der einen Seite sich wohlig in purem Blödsinn zu wälzen (etwa wenn er die Verrücktheiten des Alltags wie etwa ein unterwassertaugliches iPad aufs Korn nimmt), auf der anderen Seite das eigene Erschrecken, ja Entsetzen über die Auswüchse der heutigen Zeit, in der der Raubtier-Kapitalismus auch die Demokratie, auf die wir doch immer so stolz waren, auffrisst, in die Gesichter und die Seelen seiner Zuhörer zu zeichnen – dieser kabarettistische Seiltanz ist fast unmöglich. Aber Sieber gelingt er. Ebenso wie seine Polit-Jonglage mit drei Bällen, bei der man nicht weiß, was nun schwieriger ist: den bunten Kugeln zu folgen – oder den Geistesblitzen, die dieser moderne Hofnarr der bundesrepublikanischen Gesellschaft durch die Kelter zucken lässt.

Ein Meister des Paukenschlags – und auch der leisen Töne

Christoph Sieber ist ein Meister der Paukenschläge. Dann, wenn er ein Feuerwerk der Gags auf einen niederprasseln lässt. Auch wenn er (analog zum Sündenbock im Tempel zu Jerusalem, auf den man alle Verfehlungen zu werfen vermochte) sich als Wut-Bock zu inszenieren versteht, der auf Zuruf aus dem Publikum all das in sich sammelt, was den Menschen stinkt (von Stuttgart 21 über die Diskrepanz zwischen dem Hunger in der Welt und der Wegwerf-Mentalität hierzulande bis zum Verbot, Grünschnitt auf dem Blumentobel abzuladen), es hochkochen, es ausbrechen lässt, um dann buchstäblich drauf herumzutrampeln, es zu Boden zu ringen, sich drüberzuwälzen und es dadurch wieder aufzulösen. In dem Moment, in dem dann das Publikum gerade inbrünstig mitbrüllt.

Diese Szene war und ist so etwas wie ein Urschrei des deutschen Kabaretts: Schaut her! Ja, uns gibt es noch! Seid euch nicht zu sicher in der Komödie (oder Tragödie), in der ihr uns vorgaukelt, im Ringen um den Euro, im Kampf gegen die Klimakatastrophe etwas bewirken zu können!

Sieber demaskiert die Mächtigen nicht nur, er zeigt, dass die Kaiser und Kaiserinnen dieser Tage keine neuen Kleider haben und nicht mal mehr die alten sie zu schürzen und zu schützen vermöchten. Weil längst andere regieren. Die Schneider hinter den Kulissen. Die immer neue Finanzprodukte zusammennähen.

Aber auch hier zeigt sich der mitfühlende Kabarettist. Dann komplettiert er seine Sinfonie mit dem kabarettistischen Paukenschlag mit seiner pointierten Nachtmusik der leisen Töne. Denn gerade, wenn man es am ehesten erwartete, trampelt er nicht. Sondern hat selbst mit der ewigen Merkel („Die geht einfach nicht. Gegen Mutti werden uns 16 Jahre Kohl noch kurz vorkommen.“) eher Mitleid. Seine Botschaft: Guckt nur hin! Im Grunde ist sie genauso machtlos wie wir alle.

Und diesem radikalen Stimmungsumschwung vom schenkelklopfenden Lachen bis zum tief betroffenen Schweigen, bei dem man in der Kelter eine einzelne Traube hätte zu Boden fallen hören können, schafft Sieber (übrigens auch ein genialer Pantomime, was auf sein Studium an der Essener Folkwang-Hochschule zurückzuführen ist) von einer Sekunde auf die andere. Und (was wahrlich außergewöhnlich ist) auch wieder zurück.

Ob Sieber das deutsche Kabarett rettet? Wer weiß. Vielleicht erfindet er es ja nur neu. Der Mann ist mal messerscharfer Analytiker, mal Erzkomödiant mit unbändiger Spielfreude – eine Mischung aus Georg Schramm oder Dieter Hildebrand auf der einen und Heinz Erhardt oder Didi Hallervorden auf der anderen Seite. Zu gleichen Teilen. Auch das muss ihm erst einmal einer nachmachen.

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