Leserbriefe

Schweigen darf Currentzis eben nicht

Christian Bürk, Nürtingen. Zum Artikel „Kein Buh. Nirgends.“ vom 10. Dezember.

Letztens wurde über ein Konzert in der Stuttgarter Liederhalle unter Teodor Currentzis berichtet, der wohl für ein (selten) volles Haus sorgte und vom Publikum begeistert beklatscht wurde. Vom Berichterstatter erntete er Bewunderung für sein künstlerisches Wirken.

Manche nehmen Currentzis in Schutz gegen den Vorwurf, dass er Putins Überfall auf die Ukraine nicht geißele oder zumindest missbillige. Es wird spekuliert, je nach Interpretation für sein dröhnendes Schweigen, dass er selbst unter der Zwickmühle, in der er als Musicus angeblich stecke, leide wie ein Hund. Oder wütend über seine unverschuldete Lage sei. Oder ihm alles außer seiner Musik egal sei, dass er das Recht dazu habe und er schon deswegen zu seiner Haltung gegenüber den offensichtlichen und schweren Kriegsverbrechen in der Ukraine schweigen dürfe.

Rückblende: Currentzis hatte bereits 2014 – im Jahr der Krim-Annektion! – von Putin nicht nur den erbetenen russischen Pass, den er wohl heute noch besitzt, geschenkt bekommen. Sondern in der Folge auch die Leitung eines russischen Orchesters in Sankt Petersburg, mit dem er nach wie vor in Russland auftritt.

Er äußere sich schon von jeher nicht zu den politischen Themen, heißt es bei seinen Unterstützern. Ein Angriffskrieg ist also nur ein „politisches Thema“, womöglich ein rein nationales, sozusagen auf einer intellektuellen Stufe mit beispielsweise der Wiederholung der Senatswahl in Berlin? Das ist lächerlich. Krieg ist vor allem: Leid und Elend.

Nein, schweigen darf er eben nicht, wenn er in Moskau ebenso wie in Europa und dem großen Rest der Welt auftritt und man ihn hier zu Recht fragen möchte, wie er das alles miteinander in Einklang bringt. Auch Kulturschaffende – gerade wenn sie im Rampenlicht stehen – sollten auf Fragen, die den Kern der Zivilgesellschaft betreffen, klar antworten und Haltung zeigen.

Bleibt zu hoffen, dass das Gewissen irgendwann an ihm, seinen Mitmusikern und auch seinen Intendanten, die ihn nach wie vor engagieren, kräftig nagt. Und dass die Konzertveranstalter und das Publikum nicht den Kotau vor ihm vollziehen, als wenn nichts wäre. Zuletzt wäre zu wünschen, dass die Berichte über solche „nichts sagenden“ Kulturschaffenden wie ihn und seine Aufführungen sich nicht nur in Schwärmerei im Elfenbeinturm der Kultur verlieren, sondern gelegentlich auch etwas tiefer schürfen. Denn Kultur besteht nicht nur aus Musik und Verehrung ihrer Helden.

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