Nürtingen

Wie gelingt die Integration in Nürtingen?

Klaus Neumann, Evi Handke, Nadine Karim und Sandra Schneider (von links) debattieren im Gok’schen Keller über die Lage von Geflüchteten in Nürtingen. Foto: Barbara Gosson

NÜRTINGEN. Der Historiker Klaus Neumann las in Nürtingen und Wendlingen aus seinem Buch „Blumen und Brandsätze“, in dem behandelt wird, wie eine Gesellschaft mit Asylbewerbern umgeht. Nach der Lesung nahm er sich Zeit, mit örtlichen Akteuren über die Situation von Geflüchteten in der Stadt zu sprechen. In Nürtingen saßen auf dem von VHS-Leiterin Sandra Schneider moderierten Podium Nadine Karim, Abteilungsleiterin Bürgertreff, Integration und Sozialer Dienst bei der Stadt Nürtingen und Evi Handke von der kirchlich-diakonischen Flüchtlingsarbeit. Auch Stimmen aus dem Publikum kamen zu Wort.

Wie Neumann das derzeitige Hoch der rechten Parteien beurteilt, wollten die Besucher wissen. Für den Historiker begehen die anderen Parteien einen Fehler, wenn sie versuchen, Rechtsextremen mit deren eigenen Forderungen das Wasser abzugraben. Das habe noch nie funktioniert. Vielmehr stärke es den rechten Rand, wenn dessen Vertretern nach dem Mund geredet werde. In der Folge würden Übergriffe von Asylbewerbern stärker wahrgenommen als Übergriffe auf sie und ihre Unterkünfte.

Sandra Schneider wollte von Neumann wissen, wie er es sieht, dass Migrationswellen in immer kürzeren Abständen kommen, von den Arbeitsmigranten über die Ostblock-Aussiedler bis zu den Syrern und Ukrainern. Für Neumann ist das eine gefühlte Überforderung: „Wovor man sich fürchtet, hat nichts mit Zahlen zu tun.“ Wo viele Migranten leben, gebe es weniger Ressentiments als dort, wo kaum welche zu finden sind, was sich an den Stimmenanteilen der AfD zeige.

Was ist in den Jahren seit 2015 in Nürtingen passiert, wollte Schneider an Nadine Karim und Evi Handke gewandt wissen. Karim ist seit 2022 bei der Stadt. Sie erinnerte sich an 2015, als die geflüchteten Syrer mit Zügen kamen und in Hallen auf Feldbetten untergebracht wurden. Die großen Städte seien schnell handlungsfähig gewesen, Nürtingen sei erst mit der Gründung des Integrationsbüros handlungsfähig geworden. Durch großes Engagement und die Beteiligung der Zivilgesellschaft habe Nürtingen vieles gut bewältigt.

Auch Evi Handke erinnert sich gut an 2015. „Das waren besondere Momente. Viele wollten sich einbringen.“ Die Asyl-Arbeitskreise, NFANT, die Kirchengemeinden in Vernetzung mit den Hauptamtlichen hätten gute Arbeit geleistet. Doch die Begleitung der Geflüchteten sei zeitintensiv und vieles sorge für Frustration, zum Beispiel im Umgang mit Behörden.

Wie können Geflüchtete würdevoll untergebracht werden? Karim hat sich viele Gedanken dazu gemacht, die teilweise in den neu gebauten Unterkünften der Stadt umgesetzt wurden. 4,5 Quadratmeter stehen jedem zu. Doch auch das Drumherum zählt: Räume zur Begegnung oder abschließbare Einzelduschen, in denen eine Mutter auch ihre Kinder waschen kann, statt Gruppenduschen.

Evi Handke hat Unmut bei jenen festgestellt, die auf der Warteliste für eine sozial geförderte Wohnung stehen, weil sie wegen der Anschlussunterbringung Geflüchteter auf der Liste nach unten gerutscht sind. Denn diese günstigen Wohnungen regle der Markt eben nicht. Karim stimmt ihr zu, dass der Rückstau beim Sozialen Wohnungsbau in Nürtingen groß ist, obwohl viel getan wird.

Die Ehrenamtlichen seien besonders wichtig als Türöffner in die Stadtgesellschaft, sei es über das Sprachenlernen oder über den Kontakt zu Vereinen, sagt Evi Handke. Sie wünscht sich eine zuverlässige Finanzierung der hauptamtlichen Stellen und bessere Unterstützung bei der Arbeitssuche durch das Jobcenter.

Nadine Karim wünscht sich mehr Migrationsberatung und mehr Integrationskurse, damit Neuankömmlinge besser zurechtkommen. „Ich wünsche mir weniger aggressive Diskussionen. Auf kommunaler Ebene ist das möglich.“

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