Nürtingen

Licht der Hoffnung: Interimsläden sollen die Nürtinger Jugendwerkstatt retten

Licht der Hoffnung: Die Existenz der Jugendwerkstatt an der Alten Seegrasspinnerei ist bedroht, weil nach acht Jahren die Förderung der Einrichtung durch die Aktion Mensch ausgelaufen ist. Spenden für Pop-up-Stores könnten helfen.

Zu den Waren, die in der Jugendwerkstatt hergestellt werden, zählen Schalen und Tische. Im Bildhintergrund wird für den Feinschliff an einem Produkt gesorgt. Fotos: Just
Ein aus Afrika Geflüchteter bei Schweißarbeiten an einer Feuerschale.

NÜRTINGEN. In der zum Nürtinger Seegrasspinnerei-Gelände gehörenden Jugendwerkstatt wird fleißig und sehr innovativ gearbeitet. Während in einem Werkstattraum ein Asylbewerber mit Schweißarbeiten den Feinschliff an einer Feuerschale erledigt, schleift im Nachbarraum ein anderer eine Holztischplatte glatt. Seit inzwischen 16 Jahren finden in den Werkstatthallen an der Plochinger Straße junge Menschen, die sich in ihrem beruflichen Werdegang schwertun, sinnvolle und weiterbildende Beschäftigungen. Unter anderem Geflüchtete aus Syrien, Eritrea, Iran, Gambia und Kamerun, aber auch straffällige Jugendliche, die ihre Sozialstunden ableisten, und Jugendliche, die über das Jobcenter vermittelt werden, haben über das handwerkliche Arbeiten in der Gemeinschaft einen geregelten Tagesablauf. Viele fanden in der Folge einen festen Arbeitsplatz oder einen Ausbildungsplatz. Die Geflüchteten kommen freiwillig in die Werkstatt, weil sie etwas Nützliches tun möchten.

In der Jugendwerkstatt entstehen diverse Produkte aus recycelten Materialien, zum Beispiel Schalen, Gartenzwerge und Tassen aus Paperclay sowie aus alten Feuerlöschern hergestellte Koffergrills und Feuerschalen aus Heizkesseln. Aus alten Schubladen, kombiniert mit Metall, entstehen attraktive Sideboards. Somit bekommen alte Dinge, die eigentlich ausgedient hatten, eine neue, moderne Funktion.

In wechselnden leer stehenden Läden möchte die Jugendwerkstatt die Produkte künftig ausstellen und verkaufen. Dazu sollen Getränke in einem Café-ähnlichen Ambiente ausgeschenkt werden. Weitere junge Menschen könnten durch das Projekt eine Beschäftigung finden: bei der Produktherstellung, bei der Verkaufstätigkeit oder beim Service.

Schon jetzt hat die Jugendwerkstatt einige ihrer Produkte im Laden „Wechselnder Wilhelm“ an der Wilhelmstraße 101 in Reutlingen zum Verkauf ausgestellt. Zudem bestückt sie ein Schaufenster eines leeren Ladens in der Nürtinger Alleenstraße mit einigen ihrer Produkte. Wer Waren erwerben möchte, kann bei der Jugendwerkstatt anrufen.

Darüber hinaus würden die Verantwortlichen der Jugendwerkstatt künftig aber auch Läden in Nürtingen als vorübergehende Verkaufsräume nutzen. Von Barbara Andreas und Pit Aurenz stehe bereits das Angebot, dass die Jugendwerkstatt über eine begrenzte Zeit das Kulturcafé SprechZimmer, Am Obertor 3, mit nutzen könne, erzählt Ralf Kuder. Der Sozialpädagoge leitet zusammen mit der Kunsttherapeutin Anneli Bialek die Jugendwerkstatt.

Der Bühnenbauwagen als mobiler Laden in den Nürtinger Stadtteilen

Zudem steht der Jugendwerkstatt der alte Bühnenbauwagen zur Verfügung, der vor wenigen Jahren – ebenfalls mithilfe der Spendenaktion „Licht der Hoffnung“ dieser Zeitung – vom Werkstatt-Team wieder instandgesetzt worden war. Dieser könnte als mobiler Laden dienen und mit diversen hergestellten Produkten in verschiedene Nürtinger Stadtteile gefahren werden. „Dort könnten wir dann auch Kaffee anbieten“, sagt Kuder. Auch in den Räumen der Alten Seegrasspinnerei könnte für eine gewisse Zeit eine Ladensituation eingerichtet werden. „Wir sind aber noch auf der Suche nach weiteren Orten.“

Für die Jugendwerkstatt drängt die Zeit. Denn die Einrichtung hatte in den vergangenen acht Jahren durchgehend eine finanzielle Förderung durch die Aktion Mensch zur Integration Geflüchteter erhalten. Denn die Geflüchteten bekommen einen kleinen Obolus für ihre Arbeit. Die Anträge auf eine Anschlussfinanzierung wurden jedoch abgelehnt. Ohne eine neue Regelfinanzierung im nächsten Jahr ist die Fortsetzung der Arbeit in der 16 Jahre alten Einrichtung bedroht. „Die Aktion Mensch ist schon ausgelaufen. Wir haben noch einen finanziellen Puffer bis April“, sagt Ralf Kuder. „Wir sind gerade in der Bredouille.“

Wenn sich keine neue Finanzierungsmöglichkeit ergibt, wird die Jugendwerkstatt ihre Arbeit in der bisherigen Form nicht fortsetzen können. Bisher ist montags bis donnerstags von 9 bis 18 Uhr für die Mitarbeitenden geöffnet. Hinzu kommt die für alle offene Werkstatt ab 15 Uhr, bei der auch Schüler und Studierende ihren eigenen Kunst- und Handwerksprojekten nachgehen. Sie können dabei die Grundausstattung der Werkstatt mit Maschinen und Werkzeugen für Metallbearbeitung, Holzbearbeitung, Keramik und Siebdruck nutzen. „Da kommen jeden Tag um die 15 Leute her“, erzählt Ralf Kuder. Der Jugendwerkstattleiter stellt auch fest, dass die hergestellten Produkte faire Preise haben. „In den Schalen aus Astscheiben steckt unheimlich viel Arbeitszeit.“ Zu dem tatsächlich angemessenen Preis könne man die Schalen gar nicht anbieten. „Das wäre keiner bereit zu zahlen.“

Vier Ladenprojektphasen sollen im Jahr 2023 umgesetzt werden. Bei Erfolg des Projekts kann die Idee weitergeführt und ausgebaut werden. Für die Einrichtung der Pop-up-Stores entstehen Kosten – unter anderem für eine elektronische Kasse, Regale, Tische, Stühle und Kaffeemaschine. Diese sollen durch die Spenden der Aktion „Licht der Hoffnung“ gedeckt werden. Im Rahmen des Projekts werden auch noch Jugendliche gefragt, ob sich vorstellen können, bei Produktherstellung, Verkaufstätigkeit, Service oder Öffentlichkeitsarbeit mitzuwirken.

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