„Bodkin“ auf Netflix: Bittersüßer Sofa-Ausflug nach Irland
Netz G’schwätz: Die erste Serie aus der Obama-Filmschmiede um ein Trio von True-Crime-Podcaster ist hart und humorvoll. Dabei spielt sie gekonnt und vergnüglich mit gängigen Klischees, meint unser Redakteur.
Iren saufen. Und sie singen. Gern tun sie beides zusammen. Weil sie halt so melancholisch sind. Sie sind verschroben, weil sie auf einem grünen Flecken Erde am Rande der alten Welt leben. Dort prügeln sie sich gern und nehmen es mit den Gesetzen nicht so genau. Aha. Echt jetzt? Natürlich nicht. Alles Klischees. Klischees, mit denen die neue Netflix-Serie „Bodkin“ nicht bricht, sondern so lange vergnüglich spielt, bis man sie als Klischees entlarvt.
Einst zogen – Vorsicht, noch ein Klischee – Barden durch die keltischen Lande und sangen Geschichten von heldenhaften Gemetzeln. Da müssten deren Nachfahren doch ein Herz für True-Crime-Podcaster haben. Es sei denn, die Zugereisten wollen Geschichten erzählen, über die die Einheimischen aus einleuchtenden Gründen lieber den Mantel des Schweigens ausbreiten. Das muss das Recherche-Trio, das ins fiktive Bodkin (interessanterweise steht der Name wahlweise für einen irischen Stamm oder eine vor allem in Kriegen verwendete mittelalterliche Pfeilspitze) kommt, teilweise schmerzhaft am eigenen Leib erfahren.
Die Samhain-Nacht veränderte alles
Gilbert Power (Will Forte) ist ein True-Crime-Podcaster aus Chicago. Seine Gehilfin ist die Möchtegern-Nachwuchs-Journalistin Emmy (Robyn Cara). Der vermeintliche Star der Truppe ist die Enthüllungsjournalistin Dove (Siobhán Cullen), die auf die ganze Sache nun so etwas von gar keine Lust hat. Podcasts haben für sie nichts mit Journalismus zu tun. Und mit ihrer Heimat Irland will sie – genau – ebenso nicht zu tun haben. Zusammen wollen/sollen sie dem Verschwinden dreier Menschen nachspüren, von denen nach der verhängnisvollen Samhain-Nacht samt Dorffest vor 20 Jahren lediglich einer – wenn auch reichlich derangiert – wieder auftauchte.
Samhain, war da nicht was? Richtig. Bei den Kelten war das die Nacht, in der die Lebenden auf die Toten treffen. Geschäftstüchtige Folgegenerationen machten auch hierzulande Halloween. Samhain ist dann in Bodkin auch Programm. Beim entsprechenden Fest verschwanden einst zwei Männer und eine Frau. Und jetzt zeigen sich all die Taten derer, die mit dem Verschwinden des Trios zu tun hatten, als die Geister, die man einst rief – weshalb man sich auch nicht wundern muss, wenn sie von Auswärtigen beschworen wieder auftauchen. Zur Not auch schon einmal aus einem See.
Allerdings hat auch das journalistische Ermittlertrio mit ganz schön vielen Geistern aus der Vergangenheit zu kämpfen. Gilbert machte Karriere, weil er mit einem Podcast über seine todkranke Frau auf die Tränendrüse drückte. Jetzt will er verzweifelt an diesen Erfolg anknüpfen und seine Frau zurückerobern. Emmy wiederum hat in ihrem zugegebenermaßen noch jungen Leben noch gar nichts mit Erfolg zu tun und sucht sich deshalb selbst im Spiegel zweifelhafter Vorbilder. Ein solches ist denn auch Dove. Die flüchtet vor der Polizei, nachdem sich einer ihrer Informanten in London erhängt hat. Vor allem aber flüchtet sie vor sich selbst. Denn unter ihrer rauen irischen Schale ihrer Eigenbrötlerseele ist sie von ihrer Vergangenheit einfach zu tiefst geprägt und verletzt.
Drei Loser auf klassischer Heldenfahrt
Es ist ein echtes Heldenstück, das die drei bei ihrem keineswegs idyllisch-ungefährlichen Irland-Trip zueinander und schließlich zu sich selbst finden. Das macht die Miniserie nach einem stimmungs- und verheißungsvollen Start mittendrin zwar etwas langatmig. Und man fragt sich dann schon ab und an, warum „Higher Ground“, die Produktionsfirma von Barack und Michelle Obama, aus dem Stoff ihre erste Serie und nicht lieber doch nach „Leave The World Behind“ einfach einen weiteren Spielfilm gemacht haben. Dafür aber machen die Akribie und die Zeit, die sich die Drehbuchschreiber für die Geschichte nehmen, aus dem Trio absolut runde Charaktere.
Auf ihrer klassischen Heldenfahrt begegnen die Drei indes einer ganzen Menge anderer (einheimischer) Charaktere. Einem (natürlich) rothaarigen Schmuggler, bei dem man nie ganz sicher sein kann, ob denn nun Kern oder Schale rauer sind. Einer Schar geschäftstüchtiger Nonnen auf einer abgelegenen Insel, die für das Bewahren von Geheimnissen so manche Seele verkaufen (würden). Einem Wolf, der der Serie einen verträglichen Schuss Mystery beifügt. Einem Schwarm Aale, der das Einkommen von manch Dorfbewohner auffrischt. Es wird gesoffen, natürlich Guinness. Es wird gesungen. Natürlich melancholisch. Es wird gestorben, gemordet, geliebt.
Zum Ende hin entwickelt die mit reichlich Action angereicherte schwarze Thriller-Komödie wieder ein gutes Tempo – und trotz eines passabel abgeschlossenen Endes nach einem höllischen Showdown (samt der schottischen Abschiedshymne „Parting Glas“) bietet sie Möglichkeiten für eine zweite Staffel. Also, ab nach Irland. Wenn schon nicht auf einen Drink, dann wenigstens auf Netflix.
Lieblingsszene(n): Wenn der eigentlich stumm-sanfte Riese Teddy (Ger Kelly) mitten im Pub zu singen beginnt
Lieblingsfigur: Findelschmugglerkind Sean, weil er voller Überzeugung der irischste Rumäne der Seriengeschichte ist
Schrägste Figur: Natürlich Brutalo-Schmuggler Seamus (David Wilmot), weil der es nur mit einem Tacker und ein paar 20-Euro-Scheinen bewaffnet sogar mit der zweitschrägsten Figur Frank (David Pearse) aufnimmt
Die eigentlichen Stars: Trotz eines rundherum hervorragenden Schauspieler-Ensembles natürlich die umwerfende irische (Klischee)Landschaft und das Örtchen Sally Gap in der Grafschaft Wicklow, das in die Rolle von Bodkin schlüpft
Die Miniserie mit sieben zwischen 44 und 56 Minuten langen Folgen ist seit Mai auf Netflix zu sehen.