Die neuen außenpolitischen Spitzenvertreter der EU haben ihre Amtszeit mit einem symbolträchtigen Besuch in der von Russland angegriffenen Ukraine begonnen. EU-Ratspräsident António Costa und Chefdiplomatin Kaja Kallas trafen in der Hauptstadt Kiew Präsident Wolodymyr Selenskyj und mehrere Minister, um ihnen ihren Beistand zuzusichern.
«Wir sind gekommen, um eine klare Botschaft zu senden: Wir stehen hinter der Ukraine und setzen unsere Unterstützung für die Ukraine uneingeschränkt fort», sagte der frühere portugiesische Regierungschef Costa. Dazu gehöre humanitäre, finanzielle, militärische und diplomatische Hilfe.
Konkret stellte Costa der Ukraine zügige Fortschritte im EU-Beitrittsprozess in Aussicht. Gemeinsam werde man daran arbeiten, im ersten Halbjahr des nächsten Jahres mindestens zwei Bereiche der Beitrittsverhandlungen zu eröffnen, sagte er. In verschiedenen Politikbereichen, wie etwa beim Roaming zur kostengünstigen Handynutzung im Ausland, beginne bereits eine schrittweise Integration.
Zudem sicherte Costa der Ukraine weitere EU-Finanzhilfen und entschlossene Arbeiten am 15. Paket mit Russland-Sanktionen zu. Vom kommenden Jahr an wolle man aus Erlösen eingefrorener Vermögenswerte Russlands in der EU monatlich 1,5 Milliarden Euro an Unterstützung leisten, sagte er. Zudem werde man mit weiteren Sanktionen den Druck auf die russische Wirtschaft erhöhen und Russlands Fähigkeit, Krieg zu führen, schwächen.
Der 63 Jahre alte Costa hatte kurz zuvor um Mitternacht offiziell das Amt des Präsidenten des Europäischen Rates, des Gremiums der Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten, übernommen. Dieses war zuvor fünf Jahre von dem Belgier Charles Michel ausgeübt worden. Die frühere estnische Regierungschefin Kallas startete zeitgleich als Nachfolgerin des Spaniers Josep Borrell als EU-Außenbeauftragte. Beide Positionen wurden nach der Europawahl im Juni neu vergeben.
Der Besuch der beiden EU-Spitzenvertreter erfolgte in einer für die Ukraine besonders schwierigen Zeit. Die ukrainischen Truppen geraten vor allem in der Ostukraine immer mehr unter Druck und müssen nahezu täglich Positionen aufgeben. Als Hauptgrund werden zunehmen fehlende Soldaten auf ukrainischer Seite angesehen.
Zugleich besteht Ungewissheit darüber, ob die USA ihre Unterstützung unter Donald Trump in der derzeitigen Form fortsetzen werden. Wenn das nicht der Fall sein sollte, müssten europäische Staaten ihre Militärhilfe deutlich ausbauen, um der Ukraine eine Fortsetzung des Abwehrkampfes zu ermöglichen.
Die EU-Außenbeauftragte Kallas sagte am Rande der Kiew-Reise der Deutschen Presse-Agentur und anderen internationalen Medien, für die Ukraine sei es entscheidend, dass Europa zeige, dass es an ihrer Seite stehe. Die Situation auf dem Schlachtfeld in der Ukraine sei «sehr, sehr ernst».
Mit Blick auf das Szenario, dass die Ukraine durch ein Zurückfahren von Militärhilfen in Gespräche über einen Waffenstillstand gezwungen werden könnte, warnte Kallas eindringlich vor möglichen Folgen. Russlands Präsident Wladimir Putin habe seine Ziele nicht geändert. Wenn man jetzt einfach sagen würde: «In Ordnung, nimm die Gebiete, die du erobert hast», dann werde das nicht nur Russland, sondern auch dessen Verbündete China, Nordkorea und Iran stärken. «Wenn Amerika sich Sorgen wegen China macht, sollte es sich auch Sorgen wegen Russland machen», sagte Kallas in Anspielung darauf, dass in den USA China als größte Sicherheitsgefahr gesehen wird.
Als stärkste mögliche Sicherheitsgarantie für die Ukraine nach einem Waffenstillstand nannte Kallas eine Nato-Mitgliedschaft. «Wenn die Ukraine entscheidet, irgendwo eine Grenze zu ziehen, stellt sich die Frage, wie wir den Frieden sichern können, damit Putin nicht weiter vordringt und keine zusätzlichen Maßnahmen ergreift», erklärte sie. Die Nato-Mitgliedschaft müsse definitiv diskutiert werden. Andere klare Optionen sehen sich nicht.
Selenskyj hatte kurz zuvor in einem Interview deutlich gemacht, dass die Ukraine einem Waffenstillstand mit Russland zustimmen könnte, wenn die Nato ihren Schutz auf die von Kiew beherrschten Teile des Landes ausdehnt. Bei einem Waffenstillstand brauche sein Land Garantien, «dass Putin nicht wiederkommt», sagte Selenskyj in einem Interview des britischen TV-Senders Sky News.
Am Sonntag ergänzte Selenskyj, dass es aus seiner Sicht aber keine Einladung von nur einem Teil der Ukraine in die Nato geben könne. Denn dies käme einer Anerkennung des Verlustes der gerade von Russland kontrollierten Gebiete gleich. «Die Ukraine wird sich darauf niemals einlassen», unterstrich Selenskyj.
Begleitet wurden Costa und Kallas bei ihrem Kiew-Besuch auch von der neuen EU-Erweiterungskommissarin Marta Kos. Sie soll in den kommenden Jahren für die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine zuständig sein. Wie lange sie dauern werden und ob sie überhaupt zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden können, ist offen.
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