Geschichten aus der Klinik
Wie das Intensivtagebuch Koma-Patienten und Angehörigen helfen kann
Das Intensivtagebuch kommt auch an den Medius-Kliniken zum Einsatz. Es kann eine Brücke zu der Zeit ohne Erinnerung bauen und den Weg zurück ins Leben unterstützen.
NÜRTINGEN. Als Peter H. nach einer schweren Erkrankung aus dem Koma erwachte, hatte er das Gefühl, aus einem Albtraum zu steigen, der ihn gefangen gehalten hatte. Intensive Träume, verstörende Bilder und eine schier undurchdringliche Verwirrung begleiteten ihn, während ihm die Erinnerungen an die Tage auf der Intensivstation fehlten. In dieser Lücke im Leben des Patienten liegt oft ein belastender Schatten – das Gefühl, das eigene Dasein und die Geschehnisse um sich herum für eine Weile völlig verloren zu haben.
Ein wertvolles Hilfsmittel
Doch genau hier setzt das sogenannte Intensivtagebuch an, ein wertvolles Hilfsmittel der Medius-Kliniken, um Patienten und ihren Angehörigen bei der Rückkehr in den Alltag zu unterstützen. Während der Bewusstlosigkeit führen Pflegende und Angehörige ein Tagebuch, in dem sie die Erlebnisse am Krankenbett festhalten. Kleine, unscheinbare Details wie ein Lächeln des Patienten, ein Besuch oder das Rauschen der Geräte am Bett schaffen ein Mosaik an Eindrücken und helfen, die Lücke zu schließen, die eine schwere Krankheit im Leben hinterlassen kann.
„Das Tagebuch ist für Angehörige oft ebenso wertvoll wie für die Patienten selbst“, berichtet Intensivpflegekraft Ellen Reiser aus Nürtingen. „Es gibt ihnen die Möglichkeit, ihre Sorgen, Ängste und Hoffnungen niederzuschreiben und so ihre Erfahrungen zu verarbeiten.“ Für die Angehörigen wird das Schreiben zu einer Art Gegenwehr gegen die Machtlosigkeit, die sie in dieser Situation empfinden.
Wissenschaftlich anerkannt
Seit den späten 1980er-Jahren gibt es das Intensivtagebuch, eine skandinavische Idee, die seit 2008 auch in Deutschland vermehrt Anwendung findet. Inzwischen ist das Tagebuch wissenschaftlich anerkannt und weltweit auf rund zehn bis 20 Prozent der Intensivstationen verbreitet. Es gilt als Qualitätsmerkmal und als familienorientiertes Pflegeinstrument, das durch Studien gestützt wird: Patienten berichten über weniger Verwirrung, geringere Angst und ein besseres Verarbeiten der traumatischen Zeit auf der Intensivstation.
Ein besonderer Aspekt des Intensivtagebuchs ist seine Individualität: Es enthält chronologisch geordnete Einträge von Pflegenden und Angehörigen. Dokumentiert werden nicht nur medizinische Fortschritte und Meilensteine wie das erste Öffnen der Augen, sondern auch liebevolle Grüße, Beschreibungen von Ereignissen zu Hause und sogar Zeichnungen. Diese Details, ergänzt durch erläuternde Worte über die Abläufe auf der Intensivstation, lassen die Patienten die Zeit in einen realistischen Kontext einordnen – eine beruhigende Rückversicherung nach den unruhigen Träumen.
Für Peter H. und viele andere ist das Intensivtagebuch ein Rückblick in die vielleicht dunkelste Zeit ihres Lebens, aber auch ein sanfter Weg zurück in die Realität. Es gibt ihnen und ihren Angehörigen die Möglichkeit, die Lücke zu füllen, die das Leben auf der Intensivstation hinterlassen hat, und eröffnet ihnen die Chance, das Erlebte besser zu integrieren und daran zu wachsen.