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NZ-Redakteur Andreas Warausch im Interview: Jeden Tag neue Menschen und Themen
Im Gespräch mit einem Neuffener Realschüler berichtet der 58-Jährige von seinem Beruf, den Projekten und dem Journalismus allgemein.
NÜRTINGEN. Der Achtklässler Peter Gruber von der Realschule Neuffen hat Lokalredakteur Andreas Warausch von der Nürtinger Zeitung interviewt. Hier einige Auszüge davon.
Was macht ein Projektredakteur?
Ich bin ein normaler Lokalredakteur, das heißt, ich kümmere mich um viele Themen, auch kulturelle Themen und Lokalpolitik. Aber meine Sonderaufgabe ist es, Projektredakteur zu sein. Das heißt, ich kümmere mich um die Organisation, ich kümmere mich um die Berichterstattung von den drei Kinder- und Jugendprojekten „Zeitung in der Schule“, „Zeitung in der Grundschule“ und „Zeitungstreff im Kindergarten“. Euer Projekt ist unser Klassiker. Den gibt’s seit 22 Jahren. Ich mache Besuche in den Schulen.
Was mögen Sie an Ihrem Beruf besonders?
Die eine Sache ist: Ich war in der Schule schon immer ganz gut in Deutsch und habe schon immer gern geschrieben. Dann ist es eine großartige Sache, dass man mit dem, was man gut kann und was man gerne macht, auch Geld verdienen kann. Und das ist ein Privileg, das hat nicht jeder. Das zweite, das meinen Beruf ausmacht, ist, dass ich eigentlich jeden Tag neue Leute kennenlerne. Und das bereichert mich enorm: Immer wieder neue Leute kennenzulernen und gleichzeitig auch neue Themen. Die Themenvielfalt und die vielen Menschen, die ich kennenlerne, sind an meinem Beruf das Allerschönste.
Gibt es auch Nachteile bei diesem Beruf?
Es gibt schon Dinge, die man akzeptieren muss. Die eine Sache ist, dass wir relativ unregelmäßige Arbeitszeiten haben, dass ich auch abends arbeiten und am Wochenende arbeiten muss. Als mein Sohn Kind war, war das schon manchmal bisschen doof. Etwas anderes unterschätzen manche ein bisschen: Wir werden immer beobachtet. Meine Arbeitsprobe ist jeden Tag in der Zeitung, jeder kann gucken, habe ich mir Mühe gemacht, habe ich es gut gemacht – und das ist manchmal ein bisschen stressig.
Da muss man sich dann besonders anstrengen, oder?
Du musst dich immer anstrengen und kannst nicht mal sagen: Das brauche ich jetzt heute nicht fertig machen. Bei uns geht das nicht. Wir sind ja immer unter Zeitdruck. Und das ist auch noch ein bisschen etwas, was man abkönnen muss. Bisschen stressresistent sein.
Und die Zeitung muss dann am nächsten Tag raus?
Genau, wir haben eine Deadline abends. Und durch unser Onlineangebot haben wir natürlich noch mehr Zeitdruck, da dann schon über Tag immer wieder Texte fertig sein müssen.
Wissen Sie, wann und warum die Nürtinger Zeitung eröffnet wurde?
Klar, da sind wir sehr stolz drauf. Die Nürtinger Zeitung wurde 1831 gegründet. Jetzt haben wir ja bald im Jahr 2031, also in sieben Jahren, das 200. Jubiläum. Ich kann mich noch an das 175-Jährige erinnern. Da habe ich als junger Redakteur eine Extra-Zeitung umbrechen dürfen, mit 106 Seiten. Und worauf wir auch stolz sind: Die Zeitung ist seit fast 200 Jahren in Familienbesitz. Und viele andere Zeitungen gehören zu größeren Unternehmen, Konzernen und so.
Gibt es heute noch eine Ausgabe von der ersten Nürtinger Zeitung?
Ja, also ich bin mir ziemlich sicher, dass wir wirklich von jeder Ausgabe ein Exemplar mindestens haben. Und ich weiß aber, dass die ganz alten nicht hier bei uns sind, sondern die sind im Stadtarchiv der Stadt Nürtingen. Denn du brauchst für so alte Zeitungen, für so altes Papier, bestimmte klimatische Bedingungen.
Würden Sie den Job des Redakteurs noch mal wählen?
Ja, ziemlich sicher. Alle paar Jahre überlegt man sich immer so, was habe ich gemacht und was habe ich nicht gemacht, das ich vielleicht hätte machen sollen. Und ich glaube, dass es schon die richtige Entscheidung für mich war. Ich bin auch hier sehr zu Hause in Nürtingen, ich kenne sehr viele Menschen, ich bin ein sehr geselliger Mensch, ich mag Menschen, ich bin gern mit Menschen zusammen, das ist schon eine schöne Sache. Natürlich darf man nicht vergessen: Die Medienlandschaft hat sich gewandelt. Die Bedingungen für den Job ändern sich. Aber klar habe ich auch weitere Träume gehabt oder so, auch mal Traumjobs, ob es jetzt Fußballprofi oder Musiker war. Aber so richtig realistisch muss ich sagen, Redakteur ist schon noch mein Traumjob.
Wie sieht Ihr Leben außerhalb der Redaktion aus?
Bei Klassenbesuchen erzähle ich immer von meinen drei großen Leidenschaften: Fußball ist die Allerwichtigste für mich. Ich bin schon immer Fußballfan, ich habe auch selbst mal gespielt, war lange Jahre Jugendtrainer in Plochingen und Oberensingen. In Oberensingen jetzt in der Verbandsliga bin ich immer noch Pressesprecher und Stadionsprecher. Das zweite ist die Musik, ich spiele bei den Paperboys. Das ist eine Band. Da ist ein Kollege auch dabei, der der Gitarrist ist und ich bin der Sänger. Und deshalb nennen wir uns Paperboys, wie die Zeitungsausträger sozusagen. Und das dritte, das mich so ganz gut beschreibt, ist eigentlich das Reisen. Ich bin ganz großer Amerika-Fan. Ich bin auch sehr traurig, dass Donald Trump jetzt USA-Präsident geworden ist. Ich lese auch sehr viel. Jeden Tag. Ich bin eigentlich nirgendwo, wo ich nicht lese. Wenn ich abends im Bett liege dann lese ich, wenn ich auf das Klo gehe, dann lese ich, ich lese eigentlich immer. Ich habe auch mal selbst ein kleines Buch geschrieben über den Schriftsteller Peter Härtling. Der hat viele Kinder und Jugendbücher geschrieben. Und der hat mir immer gesagt: Lesen ist wie impfen gegen Dummheit. Das finde ich eigentlich cool.
Wenn Sie unterwegs sind und auf eine gute Story stoßen, was machen Sie dann?
Das ist unterschiedlich. Ich schreibe ziemlich viele Porträts über Menschen, die vielleicht außergewöhnlich sind und für die Gesellschaft etwas machen. Indem ich mit Menschen spreche, kriege ich schon wieder eine Idee für eine neue Geschichte. Ich habe zum Beispiel für die Sommerserie jetzt eine Geschichte geschrieben über den Hafen in Plochingen. Eine tolle Sache, sehr spannend, mit vielen Schiffen und riesigem Schrottplatz. Mit einem Schiff dort will ich jetzt auch mitfahren.
Was ist Ihre Aufgabe spezifisch?
Na ja, das spannende an der Lokalredaktion ist eigentlich, dass jeder alles macht. Früher haben wir auch das ganze Layout von der Zeitung selbst gemacht. Also ich bin unterwegs wie ein Reporter und schreibe Geschichten. Wie gesagt, die Projekte sind meine feste Aufgabe. Das verschlingt dann doch so drei bis vier Monate im Jahr. Und die andere Sache ist einfach, gute Geschichten und gute Zeitung machen. Das ist einfach die Aufgabe.
Warum wird die Zeitung eigentlich digitalisiert?
Ja, wir machen „online first“. Wir sagen, wir wollen eigentlich mehr auf diese Onlineschiene setzen. Das hat was damit zu tun, dass sich die Lesegewohnheiten geändert haben. Früher war es so, dass man in jedem Haushalt ein Abo für eine Printzeitung hatte. Und heutzutage ist das halt eben nicht mehr so. Ihr jungen Leute wachst nicht mehr so mit der Zeitung auf. Und online lesen funktioniert halt anders. Du willst auch mal tagsüber geschwind reinklicken und möchtest etwas Neues haben. Das funktioniert anders als eine Printzeitung. Und das machen wir, weil wir natürlich davon überzeugt sind, dass die Menschen professionell hergestellte Nachrichten, die wir liefern, brauchen. Und dann ist es gar nicht so erheblich, ob auf Papier oder online. Aber wir müssen schauen, dass die Leute auch online bereit sind, Geld dafür zu bezahlen.
Warum sind Sie Redakteur geworden?
Ich habe in Tübingen studiert, Allgemeine Rhetorik, Philosophie und Deutsch. Ich habe dann während des Studiums hier ein Praktikum gemacht. Das war 1993. Und das fand ich richtig cool. Als ich mit dem Studium fertig war, habe ich dann das Volontariat gemacht. Das ist die Ausbildung hier zum Redakteur und dann bin ich Redakteur geworden.
Was ist die Zielgruppe der Nürtinger Zeitung?
Das ist schwer zu sagen. Denn wenn du jetzt mal überlegst, wir haben in der Zeitung viele verschiedene Themen. Aber meine Lieblingszielgruppe seid ihr, die jungen Leute. Vielleicht zeichnet ihr ja mal ein Abo von ntz.de, damit ihr zu Nürtingen, zur Community gehört.
Warum interessieren sich die jungen Leute eher weniger für Politik?
Ja, das ist natürlich eine Frage, die müsste ich eher dir stellen. Also, die Möglichkeiten, sich zu unterhalten und sich zu informieren sind digital viel, viel größer als früher. Jeder, der dort Aufmerksamkeit will in dieser Medienlandschaft, der buhlt natürlich mit vielen neuen Playern um Aufmerksamkeit. Politik ist manchmal halt vielleicht ein bisschen sperrig. Man versteht nicht gleich, was hat das eigentlich mit mir zu tun oder was interessiert mich das eigentlich, was der Bundeskanzler in Berlin macht. Aber es ist durchaus nicht so, dass in meiner Kindheit oder Jugend sich alle so für Politik interessiert haben, wie ich das gemacht habe. Das Problem ist, dass die Politiker und die Politikerinnen eigentlich erklären müssten, was sie tun.
Was ist der Unterschied zwischen Redakteur und Chefredakteur?
Das ist wie im richtigen Leben auch. Also, wir sind ein Team und wir arbeiten richtig gut zusammen. Aber im Endeffekt muss der Chef die Verantwortung übernehmen. Und wenn wir uns mal nicht ganz einig sind, dann hat er das letzte Wort, das ist ganz klar. Und er versucht eben, uns zu organisieren, zu dirigieren. Themen auch zu finden: Was könnte denn unsere Leser wirklich interessieren? Unser Chef Kai Müller treibt auch diese Transformation voran, von dem Printmedium zu einem Online-Printmedium.
Die Zeitung sollte sachlich und unvoreingenommen sein. Können Sie versichern, dass jeder Ihrer Artikel so unvoreingenommen ist oder eher nicht?
Objektivität ist ja dieses Zauberwort. Man sagt, man soll objektiv sein und das heißt, rein sachlich die Sache schildern und sich anschauen. Das heißt, unvoreingenommen. Man soll alle Seiten hören von einem Fall, wenn mal was strittig ist. Alle auch zu Wort kommen lassen. Und ich gebe mir große Mühe. Aber wenn ich jetzt zum Beispiel ein Porträt schreibe, merkt man schon, dass ich die Menschen eigentlich mag. Und das ist dann ja auch gar nicht so schlimm. Problematischer ist natürlich, wenn ich über irgendein politisches Thema schreiben würde. Dann muss ich schon auch aufpassen, dass ich dann alle möglichen Sachen beachte. Und wenn ich dann mal wirklich sage: Da muss ich jetzt meine Meinung dazu sagen, dann schreibe ich einen Kommentar. Aber beim Kommentar weiß man, da geht es um meine Meinung. Und da muss mir nicht jeder folgen.
Warum gibt es die Pressefreiheit und was ist die Pressefreiheit eigentlich ganz genau?
Also, Pressefreiheit bedeutet eigentlich, dass wir frei und unabhängig agieren können und schreiben können. Dass uns jetzt zum Beispiel keine Regierung reinreden kann. Wir müssen zwar Gesetze befolgen, wie alle anderen Menschen auch. Im Grundgesetz steht ausdrücklich: Es findet keine Zensur statt. In Staaten, die nicht frei sind, bei Putin in Russland oder so, da wird einfach zensiert. Zensiert heißt, die Regierung entscheidet, was in der Zeitung steht und nicht die Journalisten. Vielleicht hast du schon mal gehört, es gibt ja diese Gewaltenteilung. Also, da hat man dann ja praktisch die Judikative, das sind die Richter. Dann hat man die Legislative, die machen die Gesetze. Also, die Politiker im Bundestag. Und man hat die Exekutive, das wäre jetzt in dem Fall die Regierung, die Beamten wie die Polizei zum Beispiel, die die praktisch ausführenden Organe sind. Das sind die drei Gewalten im demokratischen Staat. Und als vierte Gewalt kommt tatsächlich dazu die Presse. Denn die soll nämlich die anderen drei Gewalten überwachen. Also deshalb ist die Pressefreiheit unverrückbar und elementar für einen demokratischen Staat.