Leserbriefe

Von Argentinien lernen

Simon Kromer, Wendlingen. Zum Artikel „Besuch eines lauten und umstrittenen Exzentrikers“ vom 22. Juni und „Proteste gegen Milei in Hamburg und Berlin“ vom 24. Juni.

Javier Milei mag einen sehr provokativen Kurs fahren. Aber könnte es auch sein, dass diese exzentrischen Aktionen seinem früheren Dasein als Universitätslehrer der Makroökonomie geschuldet sind? Dieser Titel wurde in den Artikeln leider unterschlagen (seltsamerweise hat man das bei dem spanischen Regierungschef nicht vergessen). Warum eigentlich? Schaut man sich Mileis Gespräche mit Mitbewerbern im Wahlkampf an, glaubt man teilweise nämlich tatsächlich, er würde ihnen Unterricht in Wirtschaftslehre erteilen. Kann man es den Argentiniern verdenken, dass sie nach all ihren ökonomischen Sorgen der letzten Jahrzehnte so jemanden in das Präsidentenamt wählen? Dasselbe gilt für Friedrich August von Hayek. Hätte man nicht auch seinen Professorentitel und seinen Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erwähnen können? Und wenn eine Gesellschaft ihren Preis in so einem Namen an den Präsidenten Argentiniens verleiht, hat sie da vielleicht etwas mehr zu bieten als „angebliche Nähe zu Rechtsaußen“? Als Anarchokapitalist baut Milei tatsächlich radikal den Sozialstaat ab. Der Mann wäre aber nicht, wo er ist, wenn andere Rezepte funktioniert hätten. Auch uns würde das übrigens guttun. Ausrichtung der Einwanderungspolitik auf qualifizierte Fachkräfte, Bürokratieabbau, Rücknahme von Energiesteuern - vieles auf der Wunschliste deutscher Unternehmen ist vielleicht nicht genau, was Milei will, aber es führt zumindest in seine Richtung. In Deutschland mag man Angst vor libertären Experimenten haben. In einen konstruktiven Dialog mit ihnen treten sollte man aber unbedingt. Unsere hilflos agierende politische Klasse - übrigens auch die ganz und gar nicht „turbokapitalistische“ FDP - muss sich nämlich dringend etwas abschauen, wenn wir unseren Status als Wirtschaftsmacht auch nur annähernd behalten wollen.

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