Weihnachtsgrüße
Das Dach Afrika ist faszinierend und vielfältig
Alicia Grupp feiert mit ihrem fünften Beitrag ein kleines Jubiläum. Dieses Jahr erreichen uns ihre Grüße aus Äthiopien.
Die Weihnachtsgrüße aus aller Welt feiern dieses Jahr ein Jubiläum: Seit 20 Jahren gibt es Grüße aus den verschiedensten Ecken der Erde - und auch ich feiere hier mein kleines fünf-jähriges Jubiläum. Nachdem ich 2015 aus Myanmar, 2018 aus Chile, 2022 aus England, und 2023 aus New York berichten durfte, darf ich dieses Jahr nochmal aus einer ganz anderen Ecke - aus Äthiopien, am Horn von Afrika berichten.
Von New York ging es für mich mit einem kurzen organisatorischen Abstecher in Unterensingen weiter nach Addis Ababa, der Hauptstadt Äthiopiens. Die zwei Städte könnten unterschiedlicher nicht sein, New York ist das Zentrum des Kapitalismus, die Stadt, die nie schläft, Addis Ababa ist Kontrastprogramm.
Äthiopien ist ein unglaublich schönes, faszinierendes und vielfältiges Land. Es ist das einzige Land Afrikas, das nie kolonialisiert wurde und nach wie vor ist das Land recht isoliert und der westliche Einfluss im Vergleich zu anderen Ländern in der Region, deutlich geringer. Das merkt man auch daran, dass Äthiopien eine eigene Zeitrechnung nutzt: Neujahr ist am 11. September, das Jahr hat 13 Monate und aktuell befinden wir uns im Jahr 2017. Die Uhr wird anders gelesen, der Tag und die Nacht haben jeweils zwölf Stunden, und man zieht immer sechs Stunden zu unserer Uhrzeit ab, 7 Uhr morgens ist also 1 Uhr in der äthiopischen Zeitrechnung.
Insgesamt leben in Äthiopien über 80 verschiedene ethnische Gruppen, die ihre eigene Sprache sprechen und eigene Lebensweisen und Religionen haben. Was viele nicht wissen, Äthiopien ist nach Armenien das zweitälteste christliche Land weltweit.
Nach wie vor spielt die äthiopisch orthodoxe Kirche eine sehr wichtige Rolle und strukturiert den Alltag vieler Millionen Menschen. In Tigray, im Norden des Landes gibt es zahlreiche Kirchen, die in die Felsen der Gebirge rausgeschlagen wurden, eine Kirche, die ich besucht hatte stammt sogar aus dem 4. Jahrhundert. Äthiopien wird aufgrund der vielen Gebirge und dem Hochland als das Dach Afrikas genannt, auch die Hauptstadt Addis Ababa, was auf amharisch, der Landessprache, „Neue Blume“ heißt, liegt auf rund 2400 Meter Höhe. Das bedeutet auch, dass es hier meist recht kühl ist, und in der Regenzeit von Juni bis Oktober kann man das Wetter ganz gut mit dem deutschen Herbst vergleichen: zwischen 8 und 18 Grad und jeden Tag Regen.
Die Höhe erklärt zumindest teilweise, warum einige der besten Läuferinnen und Läufer aus Äthiopien komme. Und wenn man eine Sache aus Äthiopien kennt, dann den Kaffee, für den hier beste Bedingungen herrschen. Der Kaffee wird aber nicht nur exportiert, sondern gehört auch hier zum Grundnahrungsmittel. Kaffee wird in einer einem speziellen Tonkrug auf Holzkohlen zubereitet und zu jeder Tag- und Nachtzeit getrunken.
Nicht ganz Äthiopien liegt in der Höhe. Es gibt auch die extrem heißen tiefliegenden Gebiete – teilweise liegen diese unter dem Meeresspiegel. Während die Menschen in den Höhenlagen aufgrund der guten landwirtschaftlichen Bedingungen als sesshafte Bauern leben, leben die Menschen im Tiefland als nomadische Völker.
Äthiopien ist mit rund 128 Millionen Einwohner das elftgrößte Land weltweit und nach Nigeria das Land mit der zweitgrößten Bevölkerung Afrikas. Gleichzeitig ist Äthiopien auch eines der ärmsten Länder. Über 28 Millionen Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze und sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Gelegen am Horn wird das Land wie die ganze Region immer wieder von Naturkatastrophen wie Dürren und Überschwemmungen heimgesucht, was die Ernährungsversorgung immer wieder vor Herausfordernden stellt. Dazu kommen regionale ethnische Konflikte im Vielvölkerstaat, was das Land weiter destabilisiert.
In Tigray, im Norden des Landes tobte zwischen November 2020 und 2022 der tödlichste Krieg des 21. Jahrhunderts, der über 600000 Menschen, rund 10 Prozent der tigrinischen Bevölkerung das Leben kostete. Über zwei Jahre lang wurde gekämpft. Dazu kommt, dass humanitäre Hilfe blockiert wurde, was neben den Kämpfen zu einer humanitären Notlage und vielen weiteren Toten geführt hat. Mittlerweile kann man Tigray wieder bereisen, die unfassbare Schönheit der Region macht es schwierig zu verstehen, das das alles vor kurzem noch Kriegsgebiet war.
Neben Kriegen und Konflikten wird Äthiopien seit Jahren von einer schweren Wirtschaftskrise heimgesucht, Aus diesem Grund wurden hier Ende Juli Wirtschaftsreformen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds implementiert. Das bedeutet, dass internationale Handelsbeschränkungen aufgehoben und die Währung liberalisiert wurde. Innerhalb von nur wenigen Tagen war die lokale Landeswährung, der äthiopische Birr, nur noch die Hälfte wert. Das heißt, Importe sind jetzt doppelt so teuer wie zuvor, die Inflation ist extrem hoch und die wirtschaftlich schwierige Lage trifft vor allem die ärmere Bevölkerung hart.
Ich arbeite hier im größten sozialen Sicherungsvorhaben Afrikas. Dazu muss man wissen, dass es hier keine staatlichen sozialen Sicherungssysteme, wie Kranken- oder Arbeitslosenversicherung, gibt. Das heißt, wer krank oder arbeitslos wird, ist auf sich alleine gestellt, beziehungsweise muss von der Familie unterstützt werden. Teilweise wird das aufgefangen durch Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit, die die ärmsten der Armen im Gegenzug zu Arbeit an öffentlicher Infrastruktur, wie lokalem Straßenbau oder Wasserversorgung, mit Geldzahlungen unterstützt. Das Projekt läuft in unterschiedlichen Phasen schon seit 2005 und hat das Ziel die Ernährungssicherheit der Bevölkerung zu verbessern und sie zusätzlich gegen Schocks wie Dürre resilienter zu machen. Das Vorhaben wird insgesamt von 14 Gebern unterstützt, implementiert wird das Vorhaben von der äthiopischen Regierung, federführend ist das Landwirtschaftsministerium.
Mir ist es wichtig, die Vielfältigkeit und Schönheit des Landes neben den Krisen und Herausforderungen genauso darzustellen. In der internationalen Berichterstattung wird meist nur von den negativen Dingen berichtet. Das es die gibt, ist keine Frage. Diese Krisen machen aber nicht die Identität eines Landes aus, eine Jahrtausende alte Geschichte und viele unterschiedliche Kulturen prägen hier das Leben, Addis ist genauso eine Großstadt mit Bars und Restaurants, in der man abends weggehen kann.
Genauso wichtig ist es zu betonen, dass Afrika ein Kontinent mit 54 Ländern, mit ganz unterschiedlichen Kulturen, Landschaften, Geschichten und Menschen ist. Wer sich etwas näher mit dem Thema beschäftigen möchte, dem kann ich auch das Buch „Afrika ist kein Land“ von Dipo Faloyn empfehlen.
Weihnachten wird in Äthiopien, wie in vielen orthodox geprägten Ländern am 7. Januar gefeiert. Daher kam bisher auch noch nicht wirklich Weihnachtsstimmung auf. Das liegt auch daran, dass das Wetter nach der Regenzeit ziemlich sonnig und zumindest tagsüber warm ist. Plätzchen gebacken und Glühwein getrunken, habe ich hier aber trotzdem schon, und auch der Adventskalender ist bereits ausgepackt.
Jetzt zum Schluss, in guter Tradition, wünsche ich meiner Oma am heutigen Tage ein tolles Geburtstagsfest und ein gesundes neues Lebensjahr.
Alicia Grupp