Weihnachtsgrüße
Im Herzen des Wilden Westens
Jeremy Bartholomäi schickt seinen Weihnachtsbericht aus Montana. Dort studiert er an der Montana State University in Billings.
Als ehemaliger Auszubildender und späterer Vertriebsmitarbeiter der Nürtinger Zeitung hatte ich drei Jahre lang die Freude, beim Projekt „WaaW“ mitzuarbeiten und die Teilnehmer mit meinem Kollegen zu betreuen. Über die Jahre ist mir dieses Projekt richtig ans Herz gewachsen, und jedes Jahr zur Weihnachtszeit freue ich mich aufs Neue, die spannenden und vielfältigen Artikel der Teilnehmer aus aller Welt zu lesen. In diesem Jahr habe ich endlich selbst die Chance, einen Beitrag beizusteuern und über meine Erlebnisse in der Ferne zu berichten.
Als BWL-Student an der HfWU in Nürtingen hat sich für mich ein Traum erfüllt: Im Rahmen eines Austauschprogramms konnte ich zwei Semester an der Montana State University in Billings studieren. Montana – ein Bundesstaat, der für seine Nationalparks und Pferderanches berühmt ist und durch die Netflix-Serie „Yellowstone“ zunehmend an Bekanntheit gewinnt. Neben Texas ist Montana einer der wenigen Orte in den USA, wo die Cowboy-Kultur noch lebendig ist. Hier kann man Rodeos besuchen, Honky-Tonk-Abende erleben und riesige Pick-up-Trucks auf breiten Straßen bestaunen, die durch die endlosen Weiten fahren. Freiheit ist hier mehr als nur ein Wort – es ist ein Lebensgefühl. An unserer Universität dürfen Studierende beispielsweise bis zu vier Schusswaffen auf dem Campus verwahren, eine Realität, die man sich in Deutschland kaum vorstellen kann.
Billings selbst ist, gemessen an der Einwohnerzahl, die größte Stadt des Bundesstaats. Doch optisch passt die Stadt so gar nicht in das Bild, das viele von Montana im Kopf haben. Statt majestätischer Berge und dichter Wälder findet man hier weite Steppenlandschaften und trockene Ebenen, die eher karg wirken. Trotz gelegentlicher nächtlicher Schießereien und Polizeieinsätze ist die Stadt relativ ruhig – vermutlich, weil alles weitläufig verteilt ist und die Menschen das Nachtleben hier eher meiden.
Die Universität unterscheidet sich ebenfalls sehr von dem, was ich von der HfWU in Nürtingen gewohnt bin. Ich habe hier weniger Vorlesungen, dafür aber ausschließlich Pflichtveranstaltungen und eine Menge Assignments, Tests und Quizzes, die jede Woche anstehen. Die Inhalte sind dennoch vertraut und orientieren sich an dem, was ich aus meinem Studium in Deutschland kenne. Besonders beeindruckt bin ich von dem umfassenden Sportangebot, das uns hier zur Verfügung steht: ein Fitnessstudio, eine Schwimmhalle, eine Kletterwand, Tennis- und Fußballplätze und sogar eine Sauna – alles für die Studenten zugänglich.
Ein absolutes Highlight meines bisherigen Aufenthalts war der Ausflug in den Yellowstone Nationalpark, den ich Ende Oktober mit meiner Freundin unternommen habe. Die Natur hier ist atemberaubend: Geysire, wilde Tiere und unendliche Weiten.
Ein Höhepunkt war die Begegnung mit einem Wolfsrudel, das wir am zweiten Tag unseres Abenteuers beobachten konnten. Die Tiere sind hier frei und wild, aber überraschend zutraulich und kommen den Menschen nahe. Ein Reh, das sich von hinten anschlich, sorgte sogar für ein unvergessliches Bild – ein Moment, der mir für immer im Gedächtnis bleiben wird.
Nach meinem Aufenthalt im Yellowstone freue ich mich nun auf mein erstes amerikanisches Weihnachten in Montana. Die Weihnachtszeit hier ist etwas ganz Besonderes, geprägt von Traditionen, die mich teils überraschen und teils an zu Hause erinnern. In den Wochen vor Weihnachten verwandeln sich die Straßen von Billings in ein Lichtermeer, und überall stehen festlich geschmückte Tannenbäume. Hier in Montana gehört es zur Tradition, den Weihnachtsbaum selbst zu schlagen. Viele Familien fahren dafür ins Umland oder in die Berge, suchen sich einen Baum und verbringen den Tag gemeinsam draußen. Diese Verbindung zur Natur, die Menschen hier schätzen, zeigt sich in vielen Details und gibt dem Fest eine urige, bodenständige Atmosphäre.
An den Abenden vor Weihnachten laden viele Montananer zu „Ugly Christmas Sweater Partys“ ein. Die Amerikaner haben tatsächlich eine besondere Vorliebe für hässliche Weihnachtspullover – je bunter und kitschiger, desto besser! Es ist eine Tradition, die es so in Deutschland nicht gibt, und ich muss sagen, dass sie auf ihre ganz eigene Art ziemlich viel Spaß macht.
Am Weihnachtsabend trifft sich die Familie dann, ähnlich wie bei uns, um zusammen zu essen und die Geschenke auszutauschen. Das Essen hier ist jedoch etwas anders als zu Hause: Viele Familien servieren „Prime Rib“ oder Truthahn, und dazu gibt es typische Beilagen wie Kartoffelpüree, Mais und Gemüseauflauf. In einigen Haushalten wird auch traditionelle Cowboy-Küche mit einem Barbecue zelebriert – selbst bei Schnee und frostigen Temperaturen draußen am Grill. Zum Nachtisch dürfen dann „Pumpkin Pie“ und „Apple Pie“ nicht fehlen, die man hier das ganze Jahr über liebt.
Eine weitere Tradition, die ich faszinierend finde, ist die Weihnachtsmesse am Abend oder am Morgen des ersten Weihnachtstags. Die meisten Familien hier in Montana gehen in die Kirche, die oft festlich geschmückt ist und mit Kerzen und Lichtern die Besucher empfängt. Die Weihnachtsgottesdienste sind emotional und gemeinschaftlich, und die Menschen hier singen mit voller Begeisterung ihre traditionellen Lieder.
Insgesamt ist Weihnachten in Montana eine interessante Mischung aus Naturverbundenheit, etwas Cowboy-Charme und tiefen Traditionen, die alle Altersgruppen vereinen. Für mich ist es eine wertvolle Erfahrung, die Feiertage auf diese besondere Weise zu verbringen, und ich werde sicher einige der Traditionen in Erinnerung behalten und vielleicht sogar in Deutschland mit meinen Freunden und meiner Familie ausprobieren.
Zum Abschluss möchte ich allen Leserinnen und Lesern ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest wünschen. Auch wenn ich dieses Jahr weit weg von zu Hause bin, sind meine Gedanken besonders zur Weihnachtszeit bei meiner Familie und meinen Freunden in Deutschland.
Jeremy Bartholomäi