Weihnachtsgrüße

Riesige Socken für Süßigkeiten und 59 Weihnachtsmänner aus aller Welt

Madeleine Held erlebt bei ihrer Gastfamilie in Kalifornien ein Weihnachten mit vielen anderen Traditionen, Dekorationen und Familienritualen als in Deutschland

Madeleine Held (rechts) wird mit ihrer Gastfamilie in die Kirche gehen, anschließend gibt es ein großes Festessen.

Aufgeregt und todmüde. Ich stehe am Flughafen in Los Angeles/USA, seit 25 Stunden auf den Beinen und Sekunden davon entfernt, meine Gastfamilie zu treffen. Ich gehe durch die Kontrolle und sehe sie auch schon: Zwei Personen auf Stühlen tanzend im Wartebereich des Flughafens mit einem riesigen Plakat, auf dem in lila Schrift „Maddy“ steht. Wir fallen uns in die Arme und ein englischer Redeschwall stürzt auf mich ein. Da bin ich nun also. In Amerika. Voller Abenteuerlust, Erwartungen und Befürchtungen. Seit August 2013 lebe ich in den USA, genauer gesagt in Orange County, einem Vorort von Los Angeles, Kalifornien. Ich werde hier insgesamt zehn Monate mit meiner Gastfamilie verbringen und eine amerikanische Highschool besuchen Meine Gastfamilie besteht aus meiner Gastmutter Julie, Lehrerin an einer christlichen Schule, sie betreibt nebenher noch ein Fotostudio , meinem Gastvater Tony, Lieutenant Colonel in der US-Armee, meiner 13-jährigen Gastschwester Lara und den beiden Hunden Lissy und Princess. Es ist die beste Gastfamilie, die ich mir nur vorstellen kann. Von der ersten Sekunde an war ich ihre Tochter. Ich nenne sie Mom und Dad. Meine Schwester und ich waren sofort ein Herz und eine Seele. Wir sitzen oft im Jacuzzi in unserem Garten und verbringen den Nachmittag mit Reden, Shoppen, Backen und anderem. Da meine Mom an einer speziellen Privatschule unterrichtet, ist sie oft zu Hause. Sie nimmt mich auf ihre Fotoshootings mit und ich bin ihre „kleine“ Mitarbeiterin. Mein Dad ist sehr viel unterwegs, da er in der Armee ist und kommt deshalb oft erst spätabends nach Hause. Wir gehen jeden Sonntag in die Kirche. Doch Kirche ist hier anders. Es gibt eine eigene Band, die moderne Lieder spielt. Die Leute sind sehr aufgeschlossen und heißen einen vom ersten Moment an willkommen. Im Allgemeinen gehen hier mehr Familien in die Kirche und Glaube ist ein größeres Thema als bei uns. Ich gehe auf eine mittelgroße Highschool mit ungefähr 2100 Schülern. Die Schule ist über einen großen Campus verteilt, auf dem insgesamt acht Gebäude sind mit Klassenzimmern, Bibliothek, Sekretariat, Krankenstation und Cafeteria. Der Unterricht unterscheidet sich sehr vom Unterricht an deutschen Schulen. Vieles, was bei uns ein Hobby ist, kann man hier als Schulfach belegen. Es wird Töpfern, Psychologie, Tanzen, Lehrerhilfe oder Fotografie als Schulfach angeboten und natürlich Sport. Sport wird nicht in Vereinen, sondern in der Schule gespielt, und es wird sehr viel Wert darauf gelegt. Bei den Wettkämpfen der Schule sind fast alle da, viele bringen auch ihre Eltern mit. Bei den Spielen wird laut gejubelt und Essen und Trinken verkauft. Wie ein richtiges Spiel im Stadion, nur eben in der Schulsporthalle. An meiner Schule habe ich auch die meisten meiner Freunde kennengelernt. Diese zeigen mir – neben meiner Gastfamilie – die typisch amerikanische Kultur. Wir gehen zusammen Burger essen, Baseball- und Eishockey-Spiele anschauen, sie entführen mich in einen Sandwich Shop oder natürlich zu typisch amerikanischen Tänzen und Tausenden Partys, Sleepovers und Pyjamapartys. Meine Familie und Freunde zeigen mir Amerika, und so habe ich kaum ein Wochenende, an dem wir zu Hause sind. Wir waren bereits zwei Tage in Las Vegas, in Newport Beach, Disneyland, Knott’s Berry Farm, Not Scary Farm und Hollywood sowie auf vielen Partys und Familienfesten. Für Halloween verkleiden sich Wochen vorher die meisten mit den schrillsten Kostümen und am 31. Oktober gingen wir alle verkleidet in die Schule. Hier traf ich dann Superman, Snowwhite, Ninjas, Vampir Edward, Feen, Prinzessinnen, Batman, Hexen, Ritter und viele andere Persönlichkeiten auf dem Gang. In den Vorgärten sitzen Zombies, die Türen sind mit Blut bemalt und in den Büschen hängen Geister. Wochen vorher werden Süßigkeiten eingekauft, Kürbisse geschnitzt und das Haus dekoriert, damit an Halloween die Kinder und oft auch Jugendliche und Erwachsene „Trick or Treating“ gehen können. Manche dekorieren ihr Haus um zu einem „Hunting House“, das heißt ein Gruselkabinett im eigenen Haus für jeden, der sich traut, hineinzugehen. Ein Freizeitpark, „Knott’s Berry Farm“, wird im Oktober zur „Not Scary Farm“. Die Achterbahnen haben die ganze Nacht geöffnet, überall ist dichter Nebel und Hunderte von Parkangestellten laufen in gruseligen Kostümen herum und springen hinter Büschen hervor. Meine Freundin, die immer sehr „cool“ ist, lag nach einer Stunde heulend am Boden, aber dennoch hatten wir alle sehr viel Spaß. Momentan planen wir das große Weihnachtsfest. Wir dekorieren das Haus einen ganzen Tag und schmücken unseren Plastikbaum, der erstaunlich realistisch aussieht, mit Ornamenten. Jedes Familienmitglied bekommt eine Kugel für den Weihnachtsbaum, die für die Person steht. Das ist Tradition. So ist keine Kugel wie die andere, und der Baum ist ein ganz besonderer. Wir stellten Moms 59 Weihnachtsmänner aus aller Welt im ganzen Haus auf und hängten die „Stockings“ auf, das sind riesige Socken, die über dem Kamin aufgehängt und am 25. Dezember mit Süßigkeiten gefüllt werden. Weihnachten wird hier nämlich erst am 25. Dezember gefeiert, und auch wenn wir mit Sicherheit keinen Schnee haben werden, da es fast nie kälter als 25 Grad wird, so kommt durch die Dekoration doch schon ein wenig Weihnachtsstimmung auf. Wir werden traditionell Lebkuchenhäuser und Plätzchen backen, und die restliche Familie reist für Weihnachten aus ganz Amerika an. Die Geschenke stapeln sich bereits unterm Weihnachtsbaum. Meine Mom verpackt die Geschenke sehr erfinderisch. Das Geschenk wird in einen Schuhkarton mit Ziegelsteinen und Nägeln gelegt, damit er schwer ist und Geräusche macht. Es wird zehnmal eingepackt oder einfach nur der Beleg in eine Weihnachtskugel gesteckt. So bleibt die Spannung groß bis zum letzten Augenblick. Da meine Familie sehr religiös ist, werden wir in die Kirche gehen und natürlich wird es ein großes Festessen geben. Ich wünsche allen Lesern und Leserinnen wunderschöne und besinnliche Weihnachten, besonders meiner Familie in Deutschland, meinen Lehrern und meiner Klasse 10e vom Hölderlin-Gymnasium in Nürtingen!

Frohe Weihnachten aus Los Angeles

Madeleine Held

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