Leserbriefe

Nominativ, Genitiv oder Akkusativ?

Reinmar Wipper, Nürtingen. Zum Artikel „Gabriel: Türkei muss europäische Werte akzeptieren“ vom 7. August. In einem Kurzbericht zitiert Bärbel Krauss indirekt eine Erklärung des Außenministers Gabriel. Sie schreibt: „Sie (neun in der Türkei inhaftierte Deutsche) seien ohne Kenntnis über die ihnen zur Last gelegten Straftaten inhaftiert worden und müssten sich Vorwürfe erwehren, die an den Haaren herbei gezogen werden, sagte Gabriel unserer Zeitung.“ Inhaltlich klar, offenbart der Satz jedoch eine Schwäche der deutschen Grammatik. In „müssten sich Vorwürfe erwehren“ regiert „sich erwehren“ eindeutig den Genitiv. „Sich erwehren“ ist ein intransitives Verb, das kein Akkusativobjekt, sondern allenfalls eine Adverbialbestimmung, ein Dativobjekt, Präpositionalobjekt oder eben, wie in diesem Fall, ein Genitivobjekt nicht nur haben kann, sondern haben muss. Leider wird das durch eine Fall-Endung des Substantivs nicht deutlich. „Vorwürfe“ ist sowohl Nominativ, Genitiv als auch Akkusativ.

Man könnte die fehlende Klarheit schaffen, indem man den Vorwürfen ein Adjektiv vorschaltete. Etwa „falscher Vorwürfe“. Ebenso würden die Adjektive ungerechtfertigt, inakzeptabel, dumm, willkürlich – oder andere – klärend wirken.

Als Lösung schlage ich vor, eine nur im Schwäbischen gebräuchliche Genitiv-Plural-Endung zu gebrauchen, die ich laufend von meiner Oma gehört habe, und die im vorliegenden Falle wie folgt aussähe: „. . . und müssten sich Vorwürfer erwehren, die . . .“. „Vorwürfer“ ist der schwäbische Genitiv Plural von Vorwurf. Und damit wäre sowohl der grammatikalischen Klarheit Genüge getan als auch der Tatsache Rechnung getragen, dass Schwäbisch keine unanständige Art ist, Deutsch zu sprechen. Es ist eine Sprache mit eigenem Wort- und eigenem Grammatikschatz, neben und vor der deutschen Schriftsprache. Schwaben drücken sich häufig präziser aus als Hochdeutschler. Und die aus dem Luther-Deutsch entstandene deutsche Schriftsprache könnte gerade im Luther-Jahr solche Korrekturen gut integrieren. Denn am Neckar gilt: Hier schwätze ich, es geht nicht anders!

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